Das ist Ernestine Hermine Rosa Hilbert, eine Schwester meiner Urgroßmutter Amanda Nathalie. Diese Photographie sendet sie im März 1915 an Amanda und deren Ehemann Louis Leiner in Danzig, Jungstädtischegasse 6. Ernestine ist mit 26 oder 27 Jahren eine schöne Frau mit Pelz und extravagantem Hut. Das ist ja wohl ihre eigene Kleidung und gehört nicht in das Photoatelier Emil Schuffert in Borna?
Ich weiß nicht viel von Ernestine. Sie wird am 10. April 1888 in Kamin in Westpreussen als sechstes von neun Kindern geboren und wächst als jüngste, dritte Tochter auf einem kleinen Bauernhof in Lemberg, Kirchspiel Strasburg, in Westpreussen auf.
Bis auf den Hoferben gehen alle Geschwister in größere Städte, um zu arbeiten. Amanda geht nach Danzig, Berta geht nach Leipzig- Großdeuben und heiratet dort auch. Sie wird auf der Karte erwähnt. Vielleicht lebt Ernestine zu der Zeit in Rötha zwischen Leipzig – wo sie ihren Bruder Theodor im Lazarett besucht – und Borna, wo die Photographie gemacht wurde. Den Ort „Röthigen“, wie sie selbst schreibt, finde ich nicht und die Briefmarke ist in Leipzig abgestempelt.In der Familie wird sie „Rosa“ genannt, aber sie selbst unterschreibt mit „Ernestine“.
Schließlich finde ich sie in den Berliner Adressbüchern von 1920 als Ernestine Hilbert, Modesalon Schöneberg, Gotenstraße 45. In der Familie hieß es stolz, sie sei Sängerin gewesen und – etwas verschämt – sie habe einen Juden geheiratet. Die „Sängerin“ hat sich nicht direkt bestätigt, aber der Modesalon passt ja auch zu ihr und eventuell hat sie nebenberuflich gesungen. Am 31. März 1920 heiratet sie Adolf Armin Kochmann, einen Fachschriftsteller, der sich überwiegend mit deutscher Literatur beschäftigt und unter anderem einen „Führer durch die Weltliteratur“ geschrieben hat. Im Adressbuch von 1921 ist Ernestine deshalb unter ihrem Mädchennamen „Hilbert“ nicht mehr zu finden.
Im jüdischen Adressbuch für Groß-Berlin von 1931 ist kein Adolf Kochmann verzeichnet. Doch er ist Jude und muss ab dem 8. 2. 1939 lt. Standesamt Berlin den Namen „Israel“ tragen. In den normalen Adressbüchern von 1940 und 1942 finde ich beide unter vielen Kochmanns. Sie sind alphabetisch nach ihren Vornamen eingeordnet und als Paar nicht sofort erkennbar, da die Adresse bei ihr unvollständig eingetragen ist. Zwischen beiden stehen noch mehrere Kochmanns.
- Adolf, Redakteur und Fachschriftsteller, Marienfelde, Maffeistraße 49 E (Eigentümer)
- Ernestine, Verwalt. Marienfld. 49 E
Ernestine stirbt 1942 im Alter von 54 Jahren. Entsprechend findet sich im Adressbuch von 1943 auf Seite 1486 nur noch ihr Mann mit dem gleichlautenden Eintrag wie oben. Nach dem Tod seiner Frau heiratet er eine Jüdin, Erna, geb. Mandus. Sie ist von Beruf Sängerin und zieht drei Monate nach Ernestines Tod vom Kottbusser Damm nach oben in das Haus in der Maffeistraße 49 in eine Mansarde mit Notküche.
1943 wird sie deportiert und stirbt in Auschwitz. Für Erna Kochmann, geb. Mandus liegt ein Stolperstein vor dem Haus in der Maffeistraße. Adolf Armin Kochmann überlebt das Naziregime und stirbt am 5. Mai 1952.
Hallo Frau Grosse,
ich war heute einmal wieder auf Ihren Seiten. Ein interessanter Bericht über die Ernestine Hermine Rosa Hilbert.
M.f.G. w.kwittek ( hilbert clan)